MÖNCHENGLADBACH - Meisterschaften

 

Fünf Mal ist Borussia Deutscher Meister geworden. Zwei Sterne auf der Brust der Spieler direkt über der Raute zeugen davon, dass alle diese Titelgewinne in der Bundesliga zustande kamen. Deshalb ist der VfL immer noch der einzige Club in Deutschland, der zwei Sterne trägt.

Zwischen 1970 und 1977 schrieb Borussia unter den Trainer Hennes Weisweiler und Udo Lattek Geschichte – die Fohlen wurden weit außerhalb Deutschlands bekannt.


1971:
Ein morsches Gebälk hat am Bökelberg Geschichte gemacht, weil es zum falschen Zeitpunkt auseinanderbrach. Die Geschichte vom Pfostenbruch ist jedem Gladbach-Anhänger ebenso geläufig wie die großen Siege der Borussia. Am 3. April 1971 gastiert Werder Bremen am Bökelberg. Borussia braucht auf dem Weg zur Titelverteidigung unbedingt einen Sieg, denn der Vorsprung auf den punktgleichen Verfolger Bayern München beträgt sieben Spieltage vor dem Saisonende nur vier Tore. Die frühe Führung durch Horst Köppel hat Werder-Torjäger Dieter Hasebrink schnell wieder ausgeglichen und Borussias Angreifer finden in der gut aufgestellten Bremer Hintermannschaft keine Lücke.

Dann fliegt eine hohe Flanke durch den Bremer Strafraum und Borussias Torjäger Herbert Laumen (Foto) wuchtet sich dem Ball entgegen. Doch Werder-Torwart Günter Bernard kommt vor dem Gladbacher Stürmer an den Ball und lenkt ihn mit der rechten Hand über die Latte. Laumen aber ist nicht mehr zu bremsen, er fliegt weiter und mit Schwung hinein ins Bremer Tor, wo er wie ein Fisch im Netz zappelt. Die Wucht des Angreifers ist zuviel für das Tor vor der Nordkurve. Wenige Zentimeter über der Grasnarbe knickt der linke Torpfosten um, das Gehäuse sackt samt Pfosten und Latte in sich zusammen. Die in Anbetracht des drohenden Punktverlustes schon missmutigen Zuschauer sind auf einmal wieder voll da, schallendes Gelächter macht sich angesichts der grotesken Szenerie auf dem Spielfeld im Stadion breit.

Die Freude über das unverhoffte Spektakel weicht bald der Frage: Was nun? Die Bremer Spieler versuchen alles, damit die noch verbleibenden zwei Spielminuten zu Ende gespielt werden können. Umringt von schaulustigen Zuschauern, Ordnern, Gladbacher Spielern und dem Schiedsrichtergespann machen sie sich am Tor zu schaffen und versuchen, den Pfosten wieder in seine Ausgangsstellung zu bringen. Offensichtlich mit der Situation überfordert ist Schiedsrichter Gerd Meuser, der erst sein viertes Bundesligaspiel pfeift und nur mit Mühe seine Ratlosigkeit verbergen kann. Der Gladbacher Kapitän Günter Netzer hat schnell geschaltet, spekuliert auf Abbruch und Neuansetzung des Spiels. Bei einer zweiten Auflage würde man diese Bremer schon schlagen. „Da ist nichts zu machen. Brechen sie das Spiel ab“, sagt Netzer. Aber noch hat Herr Meuser nicht aufgegeben. Er lässt den städtischen Platzwart kommen, doch auch der schüttelt nur den Kopf. Meuser startet den letzten verzweifelten Versuch und schlägt vor, irgendjemand solle den aufgerichteten Pfosten zwei Minuten lang stützen. Eine Idee, die sich nach einigen mehr oder minder lustlosen Versuchen der Gladbacher Ordner als wenig Erfolg versprechend erweist. Schiedsrichter Meuser hat alles versucht, jetzt bleibt ihm nur noch eins: Er geht zum Mittelpunkt und pfeift das Spiel ab, ganze zwölf Minuten nachdem Laumen im Tor gelandet ist.

In der Kabine gibt Günter Netzer Interviews: „Das war höhere Gewalt. Es ist wohl eindeutig, dass wir noch einmal gegen Bremen spielen werden.“ Die Zuschauer gehen nach Hause – einmal mehr mit der Gewissheit, etwas Außergewöhnliches erlebt zu haben. „Gut, dass das mit dem Pfosten passierte“, sagt man sich. Doch den Gedankenspielen der Borussen macht die Sportgerichtsbarkeit einen Strich durch die Rechnung. Am 29. April steht die Verhandlung in der ehrwürdigen Verbandsvilla an der Frankfurter Zeppelinallee an. Borussia ist gut vorbereitet und legt ein Gutachten vor, das besagt, ein eventueller Riss im Holz sei von außen nicht zu erkennen gewesen. Doch DFB-Chefankläger Hans Kindermann sieht die Sache anders. Borussia habe den ordnungsgemäßen Zustand des Tores nicht gewissenhaft überprüft und nach dem Unfall nichts getan, um den Schaden zu beheben. Nach zweieinhalb Stunden hat die Gladbacher Delegation verloren. Das Sportgericht erklärt Werder Bremen zum 2:0-Sieger und verurteilt Borussia obendrein zu einer Geldstrafe von 1.500 Mark.

Inzwischen ist es im Rennen um die Meisterschaft noch spannender geworden, die immer noch punktgleichen Bayern haben dank eines 7:0 gegen den 1. FC Köln ihren Rückstand in der Tordifferenz wettgemacht. Zum Glück lassen sich Trainer Hennes Weisweiler und seine Spieler von den Diskussionen um die juristische Auseinandersetzung nicht aus der Ruhe bringen. Sie gewinnen 4:3 in Dortmund und 4:3 gegen Essen, müssen aber mit anschauen, wie die Bayern (1:0 in Bremen und 4:1 gegen Braunschweig) vor dem letzten Spieltag die Spitzenposition in der Tabelle übernehmen. Die Entscheidung über die Deutsche Meisterschaft fällt in einem Kopf-an-Kopf-Rennen am 5. Juni 1971. Bayern München verliert in Duisburg 0:2, die Gladbacher gewinnen in Frankfurt 4:1. Dem Pfostenbruch vom Bökelberg zum Trotz ist Borussia zum zweiten Mal Deutscher Meister und damit der erste Club in der Geschichte der Bundesliga, der seinen Titel verteidigt.


Herbert Laumen wurde zum Glück
nicht nur wegen des
Pfostenbruchs berühmt!

1975:
Es war vermutlich die beste Borussenmannschaft aller Zeiten, die 1975 erst den UEFA-Cup und zwei Wochen später auch noch die Deutsche Meisterschaft gewann. Zwei Titel in einer Saison, das gelang nur Borussias Mannschaft von 1975, die obendrein von den Sportjournalisten zu „Europas Mannschaft des Jahres“ gewählt wurde. Mit dem 2:0 gegen Eintracht Braunschweig fuhr der VfL am 7. Juni 1975 die letzten nötigen Punkte ein, um sich zum dritten Mal als Deutscher Meister feiern zu lassen. Mit einem 3:1-Auswärtssieg beim FC Schalke 04 hatten sich die Borussen schon am 32. Spieltag fast uneinholbar an die Spitze geschossen. Vier Punkte Vorsprung auf den Tabellenzweiten Hertha BSC Berlin, dazu eine um 24 Treffer bessere Tordifferenz – eigentlich war Borussia schon vor dem Heimspiel gegen Braunschweig Deutscher Meister. Doch die theoretischen Rechenspiele besagten, dass die Gladbacher noch einen Punkt brauchten.

Bevor das gegen den Neuling Eintracht Braunschweig erledigt werden konnte, gab es auf dem Rasen erst einmal rührende Szenen des Abschieds. Hennes Weisweiler sagte dem Bökelberg nach elf Jahren Lebewohl. Der Erfolgstrainer hatte sich von einem Angebot des FC Barcelona nach Spanien locken lassen. Weisweilers Nachfolger wurde bei der Gelegenheit auch gleich vorgestellt. Udo Lattek hieß der Mann, der vorher beim FC Bayern war und mit einem dicken Blumenstrauß empfangen wurde. Zur perfekten Jubelfeier aber fehlte noch ein Punkt. Doch Eintracht Braunschweig wehrte sich geschickt, drosselte das Tempo und zögerte den Jubel der Gladbacher Fans bis kurz vor Spielende hinaus. Erst dann fielen die Tore, die den Bökelberg in ein Tollhaus verwandelten. Mann des Tages war der Däne Henning Jensen, der erst einen Freistoß von Herbert Wimmer mit einem wuchtigen Kopfstoß ins Tor beförderte und Braunschweigs Torwart Bernd Franke zwei Minuten später auch noch mit einem platzierten Flachschuss bezwang.

Die dritte Meisterschaft wurde mindestens so tüchtig gefeiert wie die ersten beiden. Erst im Stadion, dann bei einem Triumphzug durch die Stadt, bei dem Zigtausende den Spielern zujubelten, die sich auf einem Oldtimerbus durch die Straßen von Eicken kutschieren ließen. Im Hotel Holiday Inn stieg am Abend Borussias Festbankett mit 200 geladenen Gästen, verfolgt von Fernsehkameras und Millionen Zuschauern an den TV-Bildschirmen. Berti Vogts nahm für die Mannschaft den Meisterwimpel und die goldenen Meisternadeln des DFB entgegen, Präsident Dr. Helmut Beyer wurde mit der silbernen DFB-Ehrennadel ausgezeichnet. Und Hennes Weisweiler verabschiedete sich noch einmal im kleineren Kreis von einer Mannschaft, die er zur besten in Europa geformt hatte.


In seinem letzten Jahr bei
Borussia holt Trainer
Hennes Weisweiler gleich zwei
bedeutende Pokale an den Bökelberg

1976:
In die Spielzeit nach dem Gewinn von Meisterschaft und UEFA-Pokal ging Borussia 1975 mit einem neuen Trainer. Udo Lattek galt als anerkannter Fußball-Fachmann und als Erfolgsgarant zudem. Mit dem FC Bayern München hatte der einstige DFB-Jugend-, -Junioren- und -Amateur-Trainer, der zeitweise auch als Assistent von Bundestrainer Schön gewirkt hatte, in fünf Jahren drei Deutsche Meisterschaften, einen Pokalsieg und den Europapokal der Landesmeister gewonnen. Auch in Gladbach sollte er seine sensationelle Bilanz beibehalten, ja ausbauen. Doch obwohl ihn die Gladbacher Fans, nachdem er sich für 20.000 DM aus seinem Vertrag bei Rot-Weiß Essen herausgekauft und den Kontrakt in Mönchengladbach unterschrieben hatte, lautstark mit "Udo, Udo"-Sprechchören bejubelten: Zur Borussia, zur Mannschaft, zur Mentalität des Niederrheins hat der gebürtige Ostpreuße nie gepasst.
Ein typischer Henning Jensen! Der Däne schoss beim 4:1-Sieg gegen die Bayern in der Saison 75/76 das letzte Tor am Bökelberg
Der Kontrast hätte deutlicher nicht sein können. Weisweiler hatte das fortschrittliche "Prinzip Gladbach" verkörpert, Lattek das eher wertkonservative "Prinzip Bayern". Weisweiler hatte seine Borussen zumeist frischweg drauflos spielen lassen und sie zur beliebtesten Mannschaft Deutschlands gemacht - Lattek hatte seinen Bayern stetige Kontrolle und Disziplin eingeimpft und sie zur erfolgreichsten Mannschaft Deutschlands geformt. Weisweilers Borussia gewann oft im Rausch - Latteks FC Bayern gewann immer aus Berechnung.

Der neue Mann, von manch passioniertem Weisweiler-Schützling innerhalb des Borussenteam kritisch beäugt, von sportlichen Hardlinern wie Rainer Bonhof aber vehement begrüßt ("Der Trainerwechsel kam zur rechten Zeit. Die Zügel hingen bei uns zuletzt doch ein bisschen locker. Udo Lattek achtet mehr auf Pünktlichkeit, und das tut einigen von uns gut."), konnte sich ins gemachte Nest setzen. Hennes Weisweiler hatte ihm eine intakte, entwicklungsfähige, eingespielte und weiterhin erfolgshungrige Mannschaft hinterlassen. Am Ende stand der Erfolg, den jedermann erwartet hatte. Eine tolle Leistung - doch zumeist keine Aufsehen erregende. Lattek, der Pragmatiker und Disziplinpauker, schulte die Borussia, ohne die gute Tradition des Vereins gänzlich zu verleugnen, peu à peu auf Bayern-Stil um. Unter Weisweiler war die Borussia mit 21 Siegen Meister geworden - unter Lattek reichten 16. Unter Weisweiler hatte man mit 86 Toren die meisten Treffer erzielt - unter Lattek begnügte man sich mit 66 Einschüssen und Rang vier auf der Gefährlichkeitsskala. Unter Weisweiler beließen es die Borussen in nur acht Saisonduellen bei einem Unentschieden- unter Lattek spielte die Mannschaft in 13 von 34 Begegnungen Remis, so häufig wie noch nie zuvor.

Immerhin gelang bereits am 8. Spieltag ein furioser 4:1-Heimerfolg gegen Latteks ehemaligen Verein aus München, dem man noch im Vorjahr im eigenen Stadion 1:2 unterlegen gewesen war. Stielike, Simonsen und Danner schossen vor ausverkauftem Haus bis zur 64. Minute bereits ein für Bayern demütigendes 3:0 heraus. Damit eroberten die Gladbacher zugleich die Tabellenführung, die sie nach einer 0:3-Niederlage bei Hertha BSC zwar vorübergehend an Eintracht Braunschweig abgeben mussten, ab dem 12. Spieltag dann aber ununterbrochen und recht ungefährdet bis zum Saisonende behaupten konnten.

1977:
Zur neuen Saison startete Borussia erstmals (und damit mehr als zwei Jahre später als die bahnbrechenden Braunschweiger "Jägermeister") mit dem Namen eines mehrere hunderttausend Mark berappenden Werbepartners auf den Trikots. “Erdgas“ sponserte den Gladbachern ihre letzte Meistersaison. An deren Ende standen sie auch im Finale des Europapokals der Landesmeister und freuten sie sich darüber, dass Allan Simonsen als erstem und bis heute einzigem Gladbacher das Prädikat "Europas Fußballer des Jahres" zuteil wurde.
Zum letzten Mal Deutscher Meister. Das 2:2 in München reichte den Borussen
Zuvor war die Borussia mit zehn Siegen und drei Remis, 23:3 Punkten und 32:8 Toren geradezu traumhaft in die neue Saison gekommen. Dass dennoch längst nicht alles Gold war, was in jenen Tagen glänzte, beweist ein Blick auf die Abschluss-Statistik. Zwar war der Borussia mit einem Punkt Vorsprung vor den Schalkern der Meisterschafts-Hattrick gelungen, doch hatte Lattek, "mit seinen Disziplinarmaßnahmen den Borussen die Genialität ausgetrieben". Die Borussia schaffte als Meister nur 17 Siege - bis heute die drittwenigsten der Bundesligageschichte. Borussia erzielte als Meister nur 58 Tore.

Am 34. und letzten Spieltag wollten die Borussen beim Dauerrivalen aus München ihr Meisterstück machen. Ein Sieg oder zumindest eine Punkteteilung musste her, wenn man sich nicht noch von den Schalker Knappen auf der Zielgeraden abfangen lassen wollte. Und es sollte nach Plan laufen, dank einer überraschend mutigen Entscheidung des Trainers. Der nämlich ließ zum Spiel der Spiele Uli Stielike und Jupp Heynckes in der Startelf auflaufen, beide hatten die Spiele zuvor wegen hartnäckiger Verletzungen aussetzen müssen. Doch ausgerechnet die Rekonvaleszenten brachten die Borussen frühzeitig auf die Siegerstraße. Heynckes besorgte nach 20 Minuten aus der Drehung die 1:0-Führung, Stielike erhöhte zwei Minuten darauf per Fernschuss auf 2:0. Dass Gerd Müller noch vor der Pause auf 2:1 verkürzte, fiel nicht weiter ins Gewicht. Die Bayern, am Ende der Saison abgeschlagen auf Rang sieben gelandet, brachten die der ersten Meisterschaft und dem ersten Sieg beim Erzrivalen entgegen fiebernden Borussen nach dem Wechsel nicht mehr großartig in Gefahr.

Also sorgte Borussen-Libero Jürgen Wittkamp noch einmal für das große Zittern: mit einem Eigentor in der 90. Minute. Die Meisterschaft hing für wenige Momente am seidenen Faden, blieb aber durch den Schlusspfiff Sekunden später doch am Niederrhein. Die Gladbacher gewannen den Titel, sollten aber bis zum Oktober 1995 auf den ersten Sieg im Münchener Olympiastadion warten müssen.
 
Heute waren schon 2 Besucher (2 Hits) hier!
Diese Webseite wurde kostenlos mit Homepage-Baukasten.de erstellt. Willst du auch eine eigene Webseite?
Gratis anmelden